„Exponat, Erzählung, Evidenz. Die Ausstellung als Medium der Geschichtsschreibung“

Workshop der Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik mit Christian Philipp Müller (Berlin/Kassel/New York) und Beatrice von Bismarck (Leipzig).
Berlin, 9. Februar 2013

Die Frage nach den Verfahren der Herstellung visueller Evidenz stellt sich mit Blick auf Ausstellungen in besonderer Weise: Exponate unterschiedlicher Provenienz und Medialität zeigen gemäß einer Dialektik von Präsenz und Repräsentation sich selbst und bringen zugleich einen Gehalt zur Anschauung. Über den Rahmen eines Bildes hinaus werden sie zudem in eine durch die Raumarchitektur und das Display gestaltete Situation gestellt, die eigene Erzählungen und Argumentationen hervorbringt.

Die Ausstellung „Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955“, die im Sommer 2012 anlässlich des 75. Jubiläums der Inauguration der Münchener Institution eröffnet wurde, bot der Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik den Anlass, in einem Workshop mit dem Schweizer Künstler Christian Philipp Müller und der Kunsthistorikerin Beatrice von Bismarck die genuinen Möglichkeiten der Ausstellung als Medium der Geschichtsschreibung vor dem Hintergrund ortsspezifischer Methoden in der Gegenwartskunst zu diskutieren. Für die Ausstellung hat Christian Philipp Müller in Zusammenarbeit mit der Historikerin Sabine Brantl und dem Kurator Ulrich Wilmes eine Dramaturgie sowie eine Reihe von auf die wechselhafte Geschichte des „Haus der Kunst“ bezogenen Interventionen entwickelt. Die mittels der Inszenierung von Archivmaterialien und Kunstwerken etablierte Erzählung über die Funktionalisierung moderner Kunst zwischen ihrer Denigration in der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 und vermeintlichen Rehabilitierung durch die erste „Documenta“ 1955 stellt so unter anderem das Verhältnis zwischen künstlerischer und kuratorischer Praxis, zwischen Exponaten und Ausstellungsdesign, Werk und Display, historischen Dokumenten und ästhetischen Artefakten, Evidenz und Ambiguität auf den Prüfstand.

Christian Philipp Müller, Ausstellungsdramaturgie, "Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch der Kunst 1937-1955", 2012, Installationsansicht

Christian Philipp Müller, Ausstellungsdramaturgie, „Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch der Kunst 1937-1955″, 2012, Installationsansicht Haus der Kunst, München
Foto: Maximilian Geuter

 

Dem Workshop in Berlin ging eine Besichtigung der Ausstellung in München voraus, bei dem Gespräche mit den Beteiligten, mit Okwui Enwezor, dem Direktor des „Haus der Kunst“, Sabine Brantl und Ulrich Wilmes geführt wurden. Enwezor betonte, dass die Ausstellung als künstlerische Arbeit von Christian Philipp Müller zu verstehen sei, der als ortsspezifisch arbeitender Künstler den Bezug auf die Geschichte sowie die Architektur der Institution und die Temporalität des Mediums Ausstellung als Dispositiv gezielt akzentuiert habe: Die Ausstellung selbst werde damit zum Gegenstand der künstlerischen Reflexion, die durch die Zusammenarbeit mit den anderen Kuratoren nicht beeinträchtigt werden sollte. Die Historikerin Sabine Brantl hob aus ihrer Sicht die Bedeutung der authentischen Quellen für die Dokumentation und Vermittlung von Geschichte hervor, die durch die künstlerischen Interventionen und Formen des Display nicht verfälscht oder auf andere Weise in ihrer Aussagekraft beeinflusst werden dürfte. Ulrich Wilmes erläuterte seine Hängung der klassischen Avantgarde- und Nachkriegskunst, die als museale Objekte im white cube in eine erkennbar hierarchische Gegenüberstellung gebracht sind zur Präsentation der nationalsozialistischen Kunst auf Stellwänden, deren Status so als zeithistorische Dokumente und weniger als kunsthistorisch relevante Artefakte betont wird.

In seiner Einführung zum Workshop resümierte der Künstler Christian Philipp Müller seine Prämissen und Vorgehensweise in Bezug auf die Münchener Ausstellung. Er hob die zentrale Bedeutung des Gebäudes für sein Vorhaben hervor, dessen Historie er mit den künstlerischen Mitteln der Ironie, Satire und Irritation hervorgekehrt habe, erläuterte seine Konzeption eines historisch-analytischen Narrativs, das durch den Einsatz von Ausstellungsarchitektur und graphischen Gestaltungselementen anschaulich gemacht werden sollte und berichtete von den Arbeitsabläufen in der Zusammenarbeit mit den anderen Beteiligten. Er unterstrich dabei sein Verständnis von der Ausstellung als künstlerische Arbeit, in der einzelne von ihm geschaffene oder in Auftrag gegebene Elemente (z.B. das besonders umstrittene Schokoladenmodell des „Hauses der Kunst“) als eigenständige Kunstwerke gelten müssten, die von der temporären Form der Ausstellung unabhängig sind und daher dauerhaft aufbewahrt werden müssten.

In ihrer Response stellte die Kunsthistorikerin Beatrice von Bismarck drei Leitbegriffe für die anschließende Diskussion heraus: Autorschaft, Status der Objekte, Narrativität. Die Frage der Autorschaft stelle sich in diesem Fall mit besonderer Dringlichkeit, weil die Zusammenarbeit eines ortsspezifisch, institutionskritisch und mit Methoden wissenschaftlicher Recherche arbeitenden Künstlers mit Kuratoren die üblichen Formen der Aufgabenteilung und damit die Kriterien für die Autorschaft verschwimmen lasse. Dennoch bleiben insofern traditionelle Erwartungen an ästhetische Interventionen intakt, als die künstlerische Perspektive auf die Geschichte des Hauses einen Mehrwert produzieren soll. In Bezug auf den Künstler ist damit auch die Frage nach dem Werkbegriff verknüpft: Was ist das Werk des Künstlers und welchen Einfluss hat diese Definition auf den Status einzelner Objekte? Wie ist der Status der Objekte zwischen archivalischem Exponat und ästhetischem Artefakt zu bestimmen? Hängt diese Differenzierung wiederum von den auktorialen Setzungen der beteiligten Personen und ihren jeweiligen Funktionen ab? Und schließlich die Frage nach der Narrativität: Folgte der Künstler einer filmischen Narration? Mit welchen Mitteln werden die Ausstellungsbesucher in den verschiedenen Sequenzen des Parcours in die historische Erzählung, in die verschiedenen argumentativen Ebenen, aber auch in die Aktualisierung des Themas einbezogen und gelenkt? In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass durch die Zusammenarbeit eines kuratierenden Künstlers mit wissenschaftlichen Kuratoren zwar neue Formen des Ausstellungsdisplays und Dimensionen der visuell-ästhetischen Semantisierung eröffnet werden, potentiell sogar ein neues Format der Geschichtsausstellung geschaffen wurde, dass jedoch die tendenzielle Aufhebung der Grenze zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis zu einer folgenreichen Verschränkung bis hin zur ebenso produktiven wie konfliktträchtigen Verunklärung der Narrationsstränge, Bedeutungsebenen und institutionellen Hierarchien führen kann.

André Rottmann/Elke Anna Werner

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